Irmgard Griss und die Frage: Wie können wir die europäische Demokratie reformieren?
Vor einigen Wochen drückten mir Unterstützer mit den Worten: „Mach was draus!“ den Schlüssel zu ihrem Weinlager in die Hand. Kurzerhand gründete ich den Club Rosé, besorgte einen Schwung Klappsessel beim schwedischen Spannplattenveredler und startete mit der ersten Veranstaltungsreihe, den „Europa-Briefings“. Mein Ziel: Expertinnen und Experten einzuladen, die zu einer konkreten Fragestellung einen Vortrag halten. So möchte ich in dem Getöse und Geschrei, das uns ständig umwogt, einen ruhigen, fundierten Überblick geben. Der Club Rosé soll ein Ort für gepflegten Diskurs sein, an dem sich Menschen wohl fühlen – auch wenn sie ganz verschiedene Parteien wählen und unterschiedliche Sichten auf gesellschaftspolitische Fragestellungen haben. Hier brüllen wir uns nicht an, g´scheitln nicht herum und streiten auch nicht darüber, wer denn nun rechter hat. Wir hören stattdessen zu und denken nach – gerne auch über die eigene Nasenspitze hinaus. Dabei trinken wir Wein, meistens Rosé.
Gedanken zu Ende denken
Derzeit schreibe ich an meinem nächsten Buch, das ich über den Sommer finalisieren wollte. Ich hatte das Bild von Sommerfrische im Salzkammergut und Nachmittagskaffee am Steg im Kopf. Am Vormittag würde ich an den Texten arbeiten, zu Mittag in den See hüpfen und den Nachmittag über im Schatten Backgammon spielen, lesen und Topfenstrudel essen. Am Abend lasse ich die Blasmusikkapelle vorbeiziehen und feile dann noch drei, vier Stunden an Sätzen und schlichte Wörter zu hübschen Türmen.
Neuwahl fressen Pläne auf
Be/nehmt euch! Anstand und Widerstand betitele ich mein Buch und beschäftige mich darin mit dem Begriff des Anstands in all seinen schillernden Facetten, Interpretationen und Vereinnahmungen. Und weil mir die Beschäftigung mit dem Anstandsbegriff wichtig ist, habe ich mich dazu entschlossen, in Lichtgeschwindigkeit Nägel mit Köpfen zu machen. Ich arbeite in der Politik und die vorgezogenen Neuwahlen im Herbst, ausgelöst durch völlige Anstandslosigkeit, werden mich rund um die Uhr beschäftigen. Allerdings muss ich Abstriche machen.
Kann ich auf die perfekte Grafik mit exzellenter Typographie verzichten? Zähneknirschend. Kann ich auf tolles Papier verzichten, das so herrlich knistert zwischen den Fingern? Tut weh, aber für meine Spleens ist jetzt keine Zeit. Kann ich auf das Lektorat verzichten, um Zeit zu sparen? Jetzt wird´s eng, ein gutes Lektorat muss sein. Worauf ich jedoch definitiv nicht verzichten kann und will, ist, meine Gedanken zu Ende zu denken, präzise zu sein und nicht schluddrig. Das ist anstrengend und man geht sich beim Denken oft selbst auf die Nerven, aber es zahlt sich aus. Alles andere ist eine Zumutung.
Präzise Richterin und große Humanistin
Irmgard Griss ist Großmeisterin und mein leuchtendes Vorbild darin, sich Gedanken zu machen, und diese präzise auszuformulieren. Ihre Kausalketten erschließen den Zuhörerinnen und Zuhörern neue, spannende Zugänge zu Themen, die nun einmal nicht in einer Minute erklärt werden. Dabei spürt man immer, dass die ehemalige Höchstrichterin von sehr viel Menschenliebe getragen wird, und bar jeglichen Zynismus auch menschliche Abgründe nachvollziehen kann. Als Richterin brauchte Irmgard Griss wohl ein besonders hohes Reflexions- und Abstraktionsvermögen, um sich in Menschen hineinzuversetzen und einen Sachverhalt sowohl aus der Sicht des oder der Täter_in, des oder der Anwält_in als auch des Opfers oder Geschädigten zu sehen. Im vollen Club Rosé zwängten sich die Gäste zwischen Weinkisten und Fässern, um die Gedanken und Vorstellungen von Irmgard Griss zur europäischen Demokratie zu hören. Welche Reformen braucht es, um unsere demokratischen Errungenschaften zu schützen? Und: Wie sollen wir mit illiberalen Demokratien umgehen?
Alle Antworten findest du hier im Podcast: