Über den Anstand in komplett irren politischen Zeiten
„Ich bin anständig!“
„Nein, ich bin anständig!“
Gespräch beendet.
Auf Twitter empört sich A darüber, dass Sebastian Kurz so viel Hass und Häme über sich ergehen lassen müsse, und B antwortet, dass das nun wirklich kein Wunder wäre, wo Kurz doch Demokratiefeinde in höchste Regierungsämter gebracht habe. Daher mögen ihn die Anständigen nicht mehr. Beide haben die Anständigkeit für sich reklamiert, lautstark einen Pflock eingeschlagen und die Blutwiese anschließend wieder verlassen, ohne ihre Anliegen auszudiskutieren oder ernsthaft Meinungen auszutauschen. Aber damit sind unsere beiden User nicht alleine:
Sei wie ich, dann bist du anständig!
„Heute Anstand wählen!“ postete die SPÖ am Wahltag und kapert damit den Anstandsbegriff für sich. Sie ist damit ebenfalls nicht die einzige, denn welche Partei wäre nicht gerne anständig? Die FPÖ vertritt die Anständigen unter uns, und meint damit Recht und Ordnung und simple Rezepte für komplexe Themen. Die Grünen sind anständig, weil niemand von ihnen im Gefängnis sitzt, oder in Untersuchungsausschüssen befragt wird, und sie nebenbei die Welt retten. Wer ihre hehren Ziele nicht teilt, der ist nicht anständig.
Unter dem Deckmäntelchen des Anstands lassen sich Kanzler stürzen – oder stützen, und lässt sich Verantwortung einfordern, die bei den einen auf den Namen Solidarität hört, und woanders Treue gerufen wird. Dabei umtosen uns Anstandswogen und rasch wissen wir nicht mehr, wo eigentlich oben und wo unten ist. Benehmt euch, nehmt euch, rettet euch, schaut auf euch, engagiert euch, vertragt euch, greift anständig zu, lasst den anderen auch noch was übrig, nehmt Rücksicht, steht euren Mann oder eure Frau – das alles können wir sagen, wenn wir von Anstand reden. Nichts davon ist grundlegend falsch.
Keine Frage von Moral
Anstand beschreibt die Summe von Verhaltensweisen, Zielen und Prioritäten – und je nach Standpunkt sehen diese sehr unterschiedlich aus. Anstand ist die Basis für Verständigung – und keine Frage von Moral. Bei Anstand geht es auch nur teilweise um ethische Fragen. Anstand muss endlich diese seltsamen Sphären verlassen, wo es vor Pathos nur so trieft. Deshalb braucht es einen anderen Zugang: Anstand schafft einen Rahmen, innerhalb dessen wir miteinander reden können, statt uns in zermürbenden Grabenkämpfen zu verlieren. Anstand ist ein praktisches Konzept, das uns Mittel in die Hand gibt, damit wir auch dann noch miteinander umgehen können, wenn wir grob verschiedener Meinung sind, und vielleicht sogar an der Position des anderen verzweifeln.
Und jetzt?
Kurze Schlagabtäusche in Postingform wie diese, und davon werden täglich hundertausende getätigt, haben mich unter anderem dazu bewogen, mich dem Begriff Anstand pragmatisch zu nähern. Ich wollte den Kampfbegriff unters Messer zu legen und sezieren. Wie funktioniert er? Wie wirkt er? Wofür braucht es ihn?
Mehr dazu gibt es ab 15. Juni auf 48 Seiten im gut sortierten Buchhandel, auf den üblichen Onlineplattformen oder direkt beim Verlag Indiekator.