Wenn YouTube auf Politik trifft und einfach alles fürchterlich wird
Als die damalige ÖVP-Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallath vor 15 Jahren ihren grundsätzlich sehr gescheiten Gesundheitspass für Jugendliche damit bewarb, dass es mega-affen-titten-geil wäre, einen Ausweis mit Blutgruppe, familiären Vorerkrankungen und möglichen Allergien bei sich zu tragen, bog die Häme pfeilschnell um die Ecke. Politiker_innen sollen sich bitte schön nicht an junge Menschen anbiedern, in dem sie ihre Sprache verwenden – und noch schlimmer: Kein Jugendlicher verwendete mega-affen-titten-geil noch. 2004 hat man schon längst gediggert, gedisst und gedönert. Eltern waren die Erzeugerfraktion, ältere Menschen kamen als Krampfaderngeschwader daher, und wer sich unter den Armen nicht rasierte, der hatte Achselfuchs. Die Gesundheitsministerin sah mit ihrem Anbiederungsversuch ganz schön alt aus.
Schlachten wir das Phrasenschwein!
Wenn manche Politiker_innen sich nicht gerade einer Zielgruppe oder einem Sinus-Milieu an den Hals werfen wollen, und so – neben leeren Worthülsen – auch häufig Schamesröte produzieren, dann sprechen sie sperrig und türmen Schachtelsätze aufeinander: „Es war und es ist kein leeres Wort, wenn ich sage, wir können nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Und die bisherige unbestrittene Sicherheit unserer kerntechnischen Anlagen zum Maßstab auch des künftigen Handelns machen, ohne dass wir in Folge der jüngsten Ereignisse einmal innehalten.“ Soweit, so Angela Merkel. Und wenn jetzt diese schachtelsatzige Politik von jungen Menschen in sozialen Netzwerken und ihren Followern herausgefordert wird, dann bleibt kein Auge trocken. Als der deutsche YouTuber Rezo mit knapp 800.000 Abonnent_innen vor wenigen Tagen zur „Zerstörung der CDU“ blies und neben der CDU auch SPD und AfD bügelte, reagierte die CDU zuerst einmal gar nicht, später mit einem 11-seitigen PDF, vor allem aber reagierte sie völlig hilflos.
Sprich gefälligst mit Messer und Gabel!
Sie fand erst ihre Fassung wieder, als sie sich aufs hohe Ross schwingen und von dort herab reden konnte. Sekundiert von Feuilletonisten, etwa der Zeit und der FAZ, arbeitete man sich an den inhaltlichen Schwachstellen ab, deutete auf Ungenauigkeiten und schwammige Argumentation des jungen Mannes. Man rümpfte angeekelt die Nase und zusammenfassend ließ man ausrichten: Wir unterhalten uns eventuell mit dir, wenn du unser intellektuelles Niveau erreicht hast, wenn du Fußnoten bringst, die Quellen korrekt zitierst und wenn du beim Sprechen Messer und Gabel verwendest. Die Elite zeigt ihre hässliche Fratze, arrogant, unemphatisch und elfenbeinturmig will sie den YouTuber vorführen. Als wandelnde Themenverfehlung verlangt sie Respekt, ehe sie ihn sich verdient hat und verliert sich in Formfragen, statt Position zu beziehen. Sie ruft nach Anstand, danach, dass Rezo und alle, für die er eine Blaupause ist, sich mit den Sichtweisen der CDU auseinandersetzen, diese verstehen und unterstützen mögen – und das vor allem in einem angemessenem Ton.
Anstand als Kontrollinstrument
Die CDU macht hier – stellvertretend für viele in mächtigen Positionen – das große Fass der Umfangsformen auf: Wer nicht weiß, was sich gehört und wie wir miteinander zu sprechen gedenken, der weiß eben auch nicht was anständig ist, so die Logik. Anstand wird hier zu einem Kontrollinstrument und zu einem Argument gegen das, womit man sich im Moment nicht auseinandersetzen möchte. Politiker_innen sagen oft und gerne, dass man die Sorgen der Menschen ernst nehmen müsse. Wenn dann ein junger Mensch einmahnt, an die Zukunft zu denken, sich Sorgen um die Ökopolitik macht und verdeutlicht, dass er es als unanständig empfindet, dass hier so wenig passiert, meckern die Adressierten jedoch am Tonfall herum und versuchen, das berechtigte Anliegen mit der Formfrage zu erschlagen.
Das gute jedoch ist, dass die etablierten Parteien mit ihren berechenbaren Verhaltensweisen hier nicht weiterkommen und von einem Fettnäpfchen ins nächste tappen. Wenn sie sich da rausgezogen haben, müssen sie sich endlich Gedanken machen, wie sie mit den Wählerinnen und Wählern reden. Oder reden sollten. Oder wie sie mit Menschen kommunizieren, die sie schon längst als Wählerinnen und Wähler verloren haben. Den Kulturpessimismus auszurufen, auf die da unten zu deuten, die zu blöde sind, um die glorreich verkomplizierten Inhalte zu verstehen und zu faul sind, um die schnarchfaden Enzyklopädien zu wälzen, ist zutiefst unanständig. Und damit das exakte Gegenteil von dem, was die Elite gerne postuliert.