Mit der ORF-Novelle bleiben wichtige Legitimitätsfragen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks unbeantwortet
ÖVP und Grüne demolieren mit der ORF-Novelle nicht nur ein angeschlagenes Medium weiter. Sie befeuern bewusst auch die Krise der Medienbranche
Viele Menschen misstrauen Medien. Dieser Befund schlägt uns zurzeit immer öfter entgegen. Und man kann es ihnen kaum verdenken. Jahrzehntelang wurde Medienpolitik in Hinterzimmern ausgedealt, offene und konstruktive Debatten gab es nicht und waren nie gewollt. Statt mit Bürgerinnen und Bürgern zu sprechen, redeten nur ORF, Interessenvertretungen, einzelne Verleger und Politik miteinander. Medienpolitik belief sich dabei meist auf das Aufteilen des Kuchens und das Absichern von Machtnetzen. Diverse Chats belegen das eindrücklich. So was kommt dann auch von so was: Der ORF findet sich in Umfragen, wo in Österreich besonders viel Korruption vermutet wird, auf Platz drei nach ÖVP und FPÖ. Auf Platz sechs rangieren schon die Tageszeitungen. Diese Ergebnisse sind fatal!
Viel Zeit vertrödelt
Wir leben in Zeiten kommunikativen Überflusses. Umso wichtiger ist die Legitimation von Qualitätsmedien. Der ORF, die privaten Anbieter von TV und Radio, die Printmedien und ebenso die nichtkommerziellen Medien sind von enormer Relevanz für eine demokratische Gesellschaft. Zugleich erleben wir gerade das Ende der Rundfunk-Ära. Viel zu viel Zeit wurde dabei vertrödelt. Umso wichtiger wäre es gewesen, umgehend einen Prozess mit der Zivilgesellschaft zu starten, der zuallererst die Legitimationsfragen rund um den ORF klärt. Denn: Seine pure Existenz und das Geschick, sich in viele Richtungen auszudehnen, sind längst keine Daseinsberechtigung mehr.
Wir erleben multiple Krisen in der Medienlandschaft, die diese nachhaltig verändern werden: Explodierende Papierpreise, steigende Energiekosten, Kündigungswellen, gezielte Desinformationskampagnen, sinkendes Vertrauen in öffentliche Institutionen. Aber gerade deshalb müssen wir den neuen Informationsherausforderungen Rechnung tragen. Das geht nicht über die Köpfe der Menschen hinweg. Wir müssen gemeinsam viele Fragen klären, allen voran:
Was soll der öffentlich-rechtliche Auftrag sein? Wofür ist der ORF zuständig – und wofür nicht? Brauchen wir weniger oder ein anderes Programm? Wie bringen wir wieder mehr Mut, mehr Lust am Risiko auf den Küniglberg? Wie gestalten sich faire Honorare für den Nachwuchs? Wie kann der ORF überhaupt wieder attraktiver werden für junge Menschen – nicht nur als Dienstgeber, sondern in seiner Gesamtheit? Wollen wir, dass Experimentelles nur ins Netz ausgelagert wird, oder braucht Avantgarde auch beste Sendeplätze? Was bedeutet die Programmatik des Öffentlich-Rechtlichen in einer diversen Medienlandschaft für die anderen Medienhäuser?
Wir Bürgerinnen und Bürger sind Eigentümer des ORF. Wir finanzieren und beauftragen ihn. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat ein sehr gesundes Selbstbewusstsein und übersieht diesen Aspekt häufig. Die Politik wiederum drückt sich gerne vor dem Diskurs mit den Bürgerinnen und Bürgern. Wenn wir Medienkompetenz aufbauen und Menschen vor Desinformation schützen wollen, dann müssen wir alle Menschen erreichen. Wir müssen darüber sprechen, welchen ORF wir brauchen und wollen. Der ORF muss sich vor diesen Debatten nicht fürchten. Ganz im Gegenteil: Dies gibt dem Öffentlich-Rechtlichen seine Legitimation zurück, schafft gegenseitiges Verständnis.
Eigentlich hätten wir “nur” die Zukunft der Finanzierung des ORF regeln müssen. Das war der Auftrag des Verfassungsgerichtshofs. Eine aktive Medienpolitik hätte die Chance nützen können, um insgesamt über die Zukunft des ORF zu verhandeln. Stattdessen hat diese Regierung die Chance ergriffen, ein angeschlagenes Medium weiter zu demolieren. Ministerin Susanne Raab hat sich nach Kräften bemüht, in Interviews den ORF zu delegitimieren und das Bild eines verstaubten Privilegienstadls zu zeichnen. Zu massiven politischen Interventionen des ORF-Landesdirektors in Niederösterreich äußerte sie sich hingegen nicht. Überhaupt sei eine Entpolitisierung der Gremien nicht angedacht. Es stünde ja nicht im Regierungsprogramm. Auch der ORF selbst mit Generaldirektor Roland Weißmann an der Spitze schaffte es nicht, zumindest einige dürre Worte zu formulieren, weshalb es den Öffentlich-Rechtlichen eigentlich braucht.
Größtmögliches Chaos
Das waren keine guten Vorzeichen für eine Novelle des ORF-Gesetzes, das nicht nur eine neue Finanzierungsform beinhaltet, sondern diesem auch weitreichende Möglichkeiten im digitalen Bereich einräumt. Nun liegt der Gesetzesentwurf vor, und die Regierung hat geschickt größtmögliches Chaos gestiftet. Sie hat nicht nur die ORF-Novelle in Begutachtung gesendet, sondern zeitgleich auch das Ende der Wiener Zeitung in ihrer bisherigen Form besiegelt sowie in einem weiteren Paket etwas mehr Transparenz in den verworrenen Inserate-Dschungel gebracht. Das erwartbare Ergebnis: Alle rufen durcheinander und betrachten dabei nur, was für sie persönlich relevant ist. Das wird weder dem ORF noch anderen Medien nützen.
Diese Regierung befeuert in vollem Bewusstsein eine Vertrauenskrise, ein Finanzierungsdilemma und eine Zukunftsmisere der gesamten Medienbranche. Das ist tragisch.