Alles so schön bunt hier!
Der schmuddelige Teppich, der trotz intensiver Reinigung nach jedem Wahlkampf nie zur alten Frische zurückfinden wird. Die Mottenplage in der viel zu kleinen Küche. Die ausufernden E-Mail-Schlachten darüber, dass der Geschirrspüler jetzt aber wirklich von allen eingeräumt werden muss und außerdem wäre der zur Kaffeemaschine gehörende Milchschlauch wirklich täglich zu reinigen, sonst bekämen alle Maul- und Klauenseuche oder so ähnlich. Ich werde das vermissen. Fünf Jahre lang haben wir gemeinsam gelacht, gestritten, gefeiert, noch mehr gefeiert, irre Kampagnen geschnitzt und den Liberalismus in all seinen Verästelungen durchdebattiert. Wir haben aus einem profanen Büro unter dem Dach ein organisches Gebilde gemacht: Die NEOSphäre.
In der NEOSphäre hat der Bundesgeschäftsführer in schlaflosen Baby-Nächten Kuchen für alle gebacken, haben nur die härtesten Büropflanzen überlebt und bis heute ist niemand im Büro für die IT oder technisches Gerät zuständig. Deshalb können wir auch alle Toner wechseln, Geschirrspüler reparieren, W-Lan-Router installieren und Soundsysteme bedienen. Regelmäßig wird die NEOSphäre zum Warroom, aber wir verwenden nicht den Terminus Technicus, sondern haben die Wahlzentrale auf den Namen Mut-Zentrale getauft, kurzum: Mutze.
Krawall & Remmidemmi – du machst uns die Partei kaputt!
Mein Job war Kampagnen, meine Passion Aktionismus – aber nicht des Krawalls wegen, sondern weil uns als kleine Newcomer-Partei niemand richtig zuhören wollte. NEOS waren im System nicht vorgesehen, also mussten Bypässe gelegt und lautstark auf unsere Anliegen aufmerksam gemacht werden. Ich habe Matthias Strolz Plastikhirne (Modell „Einsteiger“) für eine Bildungs-Rede im Plenum in die Hand gedrückt, liess ihn Thesen an das St. Pöltener Landhaus schlagen, um den Landeshauptleuten ein paar Themen mit auf den Weg zu geben, und stattete jeden Abgeordneten mit Überwachungskameras aus, um die Aufhebung des Bankgeheimnisse und den Überwachungswahn im Allgemeinen zu kritisieren. Ich störte mit Aktivist_innen den Wiener Landtag, liess Mauern und damit den „Bildungsbeton“ zerschlagen, Sessel aus dem Parlament tragen und Pakete von Dampfwalzen überfahren, um zu veranschaulichen, wie die SPÖ mit den Anliegen der Menschen umgeht.
Ich verpasste NEOS das berühmte Einhorn, um schnöde Partei-Standln in eine positive Intervention zu verwandeln, organisierte das erste CI-Handbuch und war als Hüterin der Marke gefürchtet bei Aktivist_innen, die WordArt für hausgemachte Flyer verwendeten. Wir bastelten aus einem Haufen Müll und einem Gurkenglas voller Kleingeld Wahlauftakte, räumten Caritas-Geschäfte leer, um mit Second Hand-Ware Mitgliederversammlungen zu inszenieren und nutzten den öffentlichen Raum als Bühne. Diese und viele weitere Aktionen prägten NEOS in den Anfangsjahren und verschafften uns Gehör. Mittlerweile sind wir erwachsen und das ist gut und richtig so!
Sag zum Abschied laut: Hier bin ich!
Bei all der Kreativität hatte ich jedoch schon länger die Sehnsucht danach, inhaltlich zu arbeiten. Nicht zuletzt deshalb habe ich nebenbei bislang drei Bücher geschrieben und mir den Ruf als Afrika-Expertin erarbeitet. Als Neuwahlen ausgerufen wurden, war mir sofort klar: Ich kandidiere! Ich will als Nationalrätin die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger im Parlament vertreten und meine Themen vorantreiben.
Der dreistufige NEOS-Vorwahlprozess, der zur Erstellung der Wahllisten führt, ist intensiv, kompetitiv und anspruchsvoll. Es ist mir gelungen, auf der Bundesliste Platz 6 zu erringen, auf der Wiener Landesliste Platz 4. Das ist ein sehr gutes Ergebnis, ob ich jedoch auf diesen Plätzen in den Nationalrat einziehe, ist eine Frage komplexer Arithmetik, hängt vom Wahlverhalten und der Stimmverteilung ab und kann ich daher frühestens am 29. September sagen.
Ohne Netz und doppelten Boden
Ich habe mich trotzdem dazu entschieden, meinen Dienstvertrag aufzulösen. Mut zu neuen Wegen und Hang zum Risiko haben uns NEOS immer ausgezeichnet, und da war ich ohnehin immer ganz vorne mit dabei. Ich gehöre nicht mehr ins Büro, und Kandidat_innen, die in Wahlzentralen abhängen, sind Nervensägen. Ich werde deshalb in den kommenden Wochen auf der Straße, in euren Wohnungen, bei Podiumsdiskussionen und jeder sich noch bietenden Gelegenheit für unsere Ideale und Visionen kämpfen. Wir sehen uns dort und ich freue mich auf euch!