Qualitätskontrolle oder Zensur?

Twitter will ab sofort, anders als Facebook, keine politische Werbung mehr zulassen. Das Netz jubelt. Warum eigentlich? Mein Gastkommentar in der Presse, 16.11.2019

Twitter verabschiedet sich von politischer Werbung, Facebook dagegen kündigte an, Fakten in politischen Anzeigen auch künftig nicht auf Wahrheitsgehalt prüfen zu wollen. Dafür musste sich Facebook-Chef Mark Zuckerberg vom US-amerikanischen Kongressmitglied Alexandria Ocasio Cortez dazu befragen lassen, wie weit man bezahlte Lügen im größten Social Network verbreiten könne.
Das klingt fürs Erste schlecht. Lügen sind keine feine Sache, bezahlte Lügen noch einen Tick unfeiner. Sollten Medienmanager nicht auf ein Mindestmaß an Kommunikationshygiene achten und bei zweifelhaften Botschaften die Reißleine ziehen? Liegt es tatsächlich nur am eingesetzten Kapital, welche Halb- und Unwahrheiten online verbreitet werden können?

Es liegt auf der Hand, dass Mindeststandards für Qualität auch in der Onlinewerbung gelten müssen. Andererseits: Eine Debatte über Qualitätskontrolle für Onlinewerbung ist ein dramatisches Signal dafür, welchen Stellenwert Information hat und welchen Kanälen und Formaten Relevanz beigemessen wird. Onlinewerbung in Form von Anzeigen, zielgruppengenau kampagnisierenden Kommunikationskanälen und reichweitenstarken Social Media-Profilen erscheint in diesem Szenario als einzige Kommunikationsform, in der Inhalte noch Menschen erreichen. Traditionellen Medien bleibt dagegen bloß die Rolle des Datenträgers.

Welche Wahrheit ist genehm?

Das ist eine beachtliche Verschiebung – dabei wird die Debatte allerdings reichlich ungenau geführt. Ist es denn tatsächlich „die Wahrheit“, der die Werbetreibenden verpflichtet sein sollen? Denn diese Frage wirft die Frage auf, wer diese Wahrheit prüfen soll, wie sie festgestellt wird und welche Maßstäbe angewendet werden. Muss die wahre Behauptung so konkret sein, dass die falsifiziert werden kann? Das wäre ja das Ende politischer Kommunikation überhaupt. So weit muss man allerdings nicht gehen; es gibt ja schließlich auch Wahrheiten, die, wenn sie nur persönlich oder entblößend genug sind, ebenfalls nicht verbreitet werden – und auch nicht verbreitet werden sollen.

Wenn nicht die Wahrheit das ausschlaggebende Kriterium ist, sind es dann weichere Faktoren wie Nettigkeit und Gefälligkeit? Sollte es das Ziel politischer Werbung sein, keine unangenehmen Stimmungen in der Welt zu verbreiten? Oder bleibt die Entscheidung schlussendlich doch auf Fragen der Macht konzentriert: Wer hat genügend Kapital, die Werbung zu finanzieren, und wer hat ausreichend Mittel, um im Gegenzug die unliebsamen Stimmen auch wieder zu übertönen?

Mit unlauterem Wettbewerb und Verleumdung gibt es zumindest in Österreich auch ausreichend Möglichkeiten, gegen die Urheber unerwünschter Kampagnen vorzugehen. Der Schaden ist dann allerdings schon angerichtet, die Information hat ihren Lauf genommen.

Willkommen im Safe Space

Also politische Werbung in sozialen Medien doch verbieten? Dann wäre immer noch die Frage zu klären, welche Art von Politik verboten ist. Sind es nur Parteien? Auch NGOs? Dürfen Vorfeldorganisationen, Bünde, Kammern, Gewerkschaften weiter kampagnisieren? Diese Fragen führen zum eigentlichen Kern, der gern übersehen wird, wenn man sich eine geregelte und gesäuberte Welt als friedlichen, freundlichen Safe Space für alle vorstellt. Wer im Glauben, das Gute zu tun, verallgemeinert, was nicht zu verallgemeinern ist, sägt an dem Ast, an dem er oder sie sitzt. Wenn politische Werbung über Transparenzregeln hinaus verboten oder reguliert werden soll – wie soll man denn dann für das Gute kampagnisieren?

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