Der öffentliche Raum wird gerne als „Wohnzimmer der Stadt“ bezeichnet. Aber wer bestimmt in diesem Wohnzimmer, wie die Kissen am Sofa platziert werden, wo die Blumenvase steht, und ob es überhaupt ein hübsches Blumenarrangement gibt? Wer macht den Putzplan und wer entscheidet, ob es die Schrankwand Mahagoni brutal wird, oder doch das knallbunte Bücheregal vom schwedischen Spanplatten-Folierer?
Wer wird in dieses Wohnzimmer eingeladen, ist Teil der Party, und wer soll sich bitteschön schleichen? Über all diese Fragen wird in zunehmender Heftigkeit diskutiert – und manchmal werden einfach Fakten geschaffen.
Immer weniger öffentlicher Raum steht immer mehr Regelwerk gegenüber. Die letzten Baulücken werden geschlossen, und damit verschwinden auch die Gstett´n als jene Orte, wo Kinder noch Schätze verbuddeln und für das Kettcar-Rennen trainieren können, wo pubertätsgeplagte Jugendliche hustend die erste Zigarette rauchen, und wo das Unkraut wild wuchert.
Die Architekturkritikerin Jane Jacobs protestiert in ihrer 1961 erschienenen Streitschrift „The Death and Life of Great American Cities“ gegen die damalige Stadtplanung. Ihre Kritik am Verlust gewachsener Strukturen ist auch heute noch hochaktuell, unter anderem das Verschwinden kleinteiliger, ungeplanter Grätzel. Als Lokalpolitikerin setze ich mich mit dem öffentlichen Raum besonders intensiv auseinander. Jeder drohende Parkplatzverlust ist für viele Menschen eine Kampfansage. Manche Radfahrer_innen wiederum, die gerade nicht von Autotüren aus dem Sattel gefegt werden, heizen durch die Gassen, als würden sie für die Tour de France trainieren. Rollerfahrer_innen und Skater_innen gehen sich gegenseitig gewaltig auf die Nerven, während Anrainer_innen auf die Barrikaden steigen, weil Jungvolk den Beserlpark ums Eck als neues Hangout entdeckt hat – inklusive Musikbeschallung. Künstler_innen suchen Platz für Gesellschaftskritik am Platzverlust, Schanigärten wollen mehr Raum, Eltern wünschen sich eine Spielstraße, damit sich die Kids gefahrlos austoben können, eine Hundezone wäre auch wichtig, Events und Demos legen temporär den Verkehr lahm, laut sind beide auch noch. Und bei all dem liegen die Nerven zunehmend blank. Rechthaberei greift um sich und wenn es für einen Sachverhalt keine Rechtsgrundlage gibt, die entscheidet, wer denn nun rechter hat, dann muss flugs eine solche geschaffen werden. Wir brüllen und toben, der Kampf um Platz im öffentlichen Raum wird mit immer härteren Bandagen geführt.
Großzügigkeit würde uns allen weiterhelfen. Großzügigkeit anderen Menschen und ihren Bedürfnissen gegenüber, aber vor allem Großzügigkeit in der Stadtplanung. Ich erlebe viel Klein-Klein im Denken, Mutlosigkeit und keinen Hauch von Visionen. Statt groß zu denken, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, sich zu überlegen, wie wir miteinander tun und leben wollen, verstrickt sich die Politik in ermüdenden Debatten darüber, ob ein zusätzlicher Radlständer vor eine Schule aufgestellt wird, oder doch lieber nicht. Währenddessen heizt der Klimawandel unsere Städte auf, sorgt Bodenversiegelung dafür, dass sich immense Hitzeinseln bilden und brüllen wir Menschen uns gegenseitig an. Es ist an der Zeit, dass wir alle einmal weniger auf uns und unser Recht beharren und uns gemeinsam überlegen, wie wir die Welt um uns gestalten wollen.